Werte - Zoom, Nummer 1

Vertrauen in Institutionen

28.07.2020

Die Europäische Wertestudie (European Values Study - EVS) analysiert seit drei Jahrzehnten die Werthaltungen der Österreicher*innen. Dieser Langzeitvergleich ist die eine Stärke der EVS; eine weitere ist die Vergleichsmöglichkeit mit Ergebnissen anderer teilnehmender Länder. Unser Projekt "Werte - Zoom" will diese Chancen nutzen und wird in den kommenden Monaten ausgewählte österreichische Ergebnisse im internationalen Vergleich darstellen: knapp, informativ und hoffentlich für Leser*innen interessant.

Der erste Beitrag beschäftigt sich mit der auch in Corona-Zeiten relevanten Frage, wieviel Vertrauen gesellschaftliche Institutionen eigentlich genießen. Aktuell zeigt sich etwa ein gestiegenes Vertrauen in Medien, auch das Vertrauen in die Regierung war vor allem zu Beginn der Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie sehr hoch.1 Über diese situationsbezogene Variante des Vertrauens hinaus widmen sich die Analysen der Europäischen Wertestudie dem Langzeitvergleich zwischen 1990 und 2018. Wie also veränderte sich das Vertrauen in Institutionen in den vergangenen 30 Jahren?

 

Hohes Vertrauen in Österreich

Bei der Österreich-Auswertung 2018 der EVS hat sich herausgestellt, dass die Österreicher*innen "ihren" Institutionen viel und über die Jahrzehnte hinweg wachsendes Vertrauen entgegenbringen.2 An der Spitze der Rangliste steht die Polizei (85%), es folgen Gesundheitswesen (83%), Sozialversicherungssystem (76%), Rechtssystem (73%), Bildungssystem (68%) und Bundesheer (63%). Am Ende des Rankings finden sich große Wirtschaftsunternehmen (34%), Presse (30%), politische Parteien (27%) und Soziale Medien (20%). Im Vergleich der vergangenen 30 Jahre haben von elf in allen Wellen erhobenen Institutionen neun an Vertrauen gewonnen und nur zwei (große Unternehmen und Kirche) Vertrauen verloren.

Mehrere Hintergründe können für diese "Rückkehr der Institutionen" vermutet werden.3 Manche Institutionen könnten ihre Wirkung und Wahrnehmung verbessert haben und die Bevölkerung honoriert dies mit mehr Vertrauen. Sichtbar wird wohl auch ein zunehmender Wunsch nach Sicherheit und Ordnung; dies würde die steigenden Werte von Polizei und Militär erklären. Insgesamt können die Ergebnisse auch als wachsendes Bedürfnis nach Orientierung in einer unübersichtlich werdenden Welt interpretiert werden.

 

Internationale Ergebnisse differenziert

Wie zeigt sich nun die Datenlage zum Institutionenvertrauen im internationalen Vergleich? Wir haben die Daten folgender ausgewählter Länder analysiert und mit den Österreich-Ergebnissen verglichen: Ungarn und Polen, ehemals kommunistische Länder mit heute nationalkonservativen Regierungen; Schweden und Finnland, zwei skandinavische Staaten mit sozialdemokratisch/grünen Regierungen; Italien und Spanien, südeuropäische Länder mit Mitte-Links-Regierungen sowie Großbritannien als Nicht-EU-Land mit einer konservativen Regierung (siehe Tabelle).

Ganz generell zeigt sich, dass auch bei den ausgewählten Ländern das Vertrauen in Institutionen eher gestiegen als gesunken ist, auch wenn die Lage teilweise durchwachsener ist als in Österreich. Auffallend sind die beiden skandinavischen Länder, bei denen mit einer Ausnahme das Vertrauen zu allen Institutionen gewachsen ist. Als kritisch ihren Institutionen gegenüber erweisen sich Polen und Ungarn sowie Italien und Spanien: Sie signalisieren vor allem sinkendes Vertrauen in Parlament, Kirche, Unternehmen und Presse.

Von den Institutionen her betrachtet haben in fast allen Ländern Polizei, Militär und öffentlicher Dienst an Vertrauen zugelegt, teilweise – wie in Österreich – sehr deutlich. Auch Sozialversicherung, Justiz und Bildungswesen verzeichnen mehrheitlich eine Entwicklung zu mehr Vertrauen. Kirche und große Unternehmen sind wie in Österreich in der Mehrheit der Länder mit einem Vertrauensverlust konfrontiert. Auch das Vertrauen in das Parlament sinkt (außer in Österreich, Schweden und Finnland), in Polen etwa in besorgniserregendem Ausmaß.

Grafik: B. Veit

Eine ambivalente Skizze

Auch wenn natürlich die Einstellung zu den Institutionen von aktuellen gesellschaftlichen Vorkommnissen und historischen Faktoren abhängt, die länderspezifisch unterschiedlich wirken, entsteht aus den EVS-Ergebnissen eine gemeinsame Skizze: Während in den vergangenen Jahrzehnten häufig von einer wachsenden Distanz der Menschen zu den Institutionen gesprochen wurde4, scheinen heute viele Institutionen eine gute Chance auf ein Comeback zu haben. Offensichtlich stiften sie Nutzen in unübersichtlichen Zeiten.

Dass es Institutionen leichter haben, die für Recht, Ordnung und Sicherheit sorgen, hinterlässt ein zwiespältiges Gefühl: Einerseits ist es demokratiepolitisch wichtig, dass Einrichtungen der öffentlichen Sicherheit in der Bevölkerung gut verankert sind. Andererseits stellt sich die Frage nach den Hintergründen für das offenbar wachsende Sicherheitsbedürfnis: Ist es gefühlt, real oder inszeniert? Und was macht der Wunsch nach Sicherheit mit jenem nach Freiheit?

Auch der Blick auf die Institutionen, die im Zeitvergleich Vertrauen verloren haben, macht nachdenklich: Gerade im weitesten Sinn politische Einrichtungen, die für gesellschaftlichen Diskurs und soziale Kohäsion stehen, verlieren an Vertrauen: Das betrifft teilweise Presse und Gewerkschaften, vor allem aber Kirchen und die Parlamente. Viel zu tun also im Spannungsfeld von Nutzenstiftung, Sicherheit und Freiheit – für die Institutionen genauso wie für die Bürger*innen.

Christian Friesl

 

Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Friesl, MBA ist seit 2001 Universitätsdozent am Institut für Praktische Theologie sowie Bereichsleiter für Bildung und Gesellschaft in der österreichischen Industriellenvereinigung. Er ist zudem seit 2017 Leiter des Forschungsverbunds Interdisziplinäre Werteforschung.

Kontakt: christian.friesl@iv.at

 

Anmerkungen:

1 Genaue Analysen bietet das Corona-Panel der Universität Wien, siehe https://viecer.univie.ac.at/corona-blog/corona-blog-beitraege/blog32/ und https://viecer.univie.ac.at/coronapanel/corona-blog/corona-blog-beitraege/blog02/. Weitere Ergebnisse zum aktuellen Vertrauen in österreichische Institutionen werden hier in den nächsten Wochen erscheinen.

2 Vgl. Hajdinjak, S./Glavanovits, J./Kritzinger, S., Politik und Demokratie: Die Österreicherinnen und Österreicher und ihr politisches System, in: Aichholzer, J. u.a. (Hg.), Quo vadis, Österreich? Wertewandel zwischen 1990 und 2018, Wien 2019, 135-173, 159ff.

3 Vgl. Aichholzer, J./Friesl, C./Rohs, P., Wertewandel in Österreich: Ein Blick auf 30 ahre, in: Aichholzer, J. u.a. (Hg.), Quo vadis, Österreich? Wertwandel zwischen 1990 und 2018, Wien 2019, 242-273, 261f.

4 Vgl. Friesl, C./Polak, R./Hamachers-Zuba, U. (Hg.), Die Österreicher innen. Wertewandel 1990-2008, Wien 2009, 215f.