Werte - Zoom, Nummer 8

Wie steht's um die Demokratie in Österreich?

28.05.2021

Der Zustand und die Wichtigkeit von Demokratie werden von den Österreicher*innen 2018 vergleichbar zu anderen Ländern West- und Nordeuropas bewertet. Im Jänner 2021, d.h. inmitten der Corona-Pandemie, wird jedoch der Zustand der Regierungsentscheidungen als vergleichsweise weniger demokratisch eingeschätzt. Insbesondere Wähler*innen von SPÖ und FPÖ sowie Nichtwähler*innen wurden unzufriedener mit der demokratischen Verfasstheit politischer Entscheidungen, während ÖVP-Wähler*innen kaum Veränderungen in der Wahrnehmung aufweisen, wie demokratisch Österreich aktuell regiert wird.

 

Demokratische Verfasstheit im internationalen Vergleich

Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, wie die österreichische Bevölkerung (1.) den Zustand und (2.) die Wichtigkeit von Demokratie in Österreich bewertet.

Zunächst sehen wir uns dazu an, wo Österreich im Vergleich zu anderen Ländern liegt. Wir verwenden dazu Daten der European Values Study (EVS) 2017/18 und die folgenden Fragen zum Thema Zustand und Wichtigkeit von Demokratie: (1.) "Wie demokratisch wird Ihrer Meinung nach Österreich heutzutage regiert?" (Antwortkategorien reichen von 1=überhaupt nicht demokratisch bis 10=sehr demokratisch) und (2.) "Wie wichtig ist es für Sie, in einem Land zu leben, das demokratisch regiert wird?" (Antwortkategorien von 1=überhaupt nicht wichtig bis 10=sehr wichtig).

Wie in Grafik 1 zu erkennen ist, lassen die Daten der EVS, die Anfang 2018 erhoben wurden, darauf schließen, dass die Einstellungen der Österreicher*innen zur Demokratie mit jenen in anderen Ländern West- und Nordeuropas vergleichbar sind. In einem demokratisch regierten Land zu leben, wird als sehr wichtig eingeschätzt (Mittelwert 9,1 auf einer Skala von 1 bis 10), der Zustand der österreichischen Demokratie 2018 wird als vergleichsweise sehr demokratisch bewertet (Mittelwert 7,4). Lediglich in Ländern wie Dänemark, Schweden, Norwegen und der Schweiz wird der Zustand der Demokratie besser als in Österreich bewertet. Am anderen Ende der Skalen liegen vorwiegend Länder Südosteuropas sowie Russland und Weißrussland mit erkennbaren demokratischen Defiziten. Es gilt gleichzeitig hervorzuheben, dass trotz der kritischen Bewertung des Zustandes der Demokratie in diesen Ländern die Wichtigkeit eines demokratischen Regimes dennoch betont wird.

Grafik: B. Veit

Die Corona-Krise hat Einschätzungen verändert

Wie haben sich nun die Einstellungen in Österreich seit 2018 verändert?

Ein offenkundiger Einschnitt seit 2018 war das Aufkommen der COVID-19-Pandemie, die dazu geführt hat, dass demokratisches Regieren primär in einem Krisenmodus abläuft. Um Veränderungen in den Einstellungen der österreichischen Bevölkerung zu erfassen, nutzen wir Daten des Austrian Corona Panel Project (ACPP), einer Panelbefragung, die seit Beginn der Corona-Krise im März 2020 durchgeführt wird und die im Jänner 2021 dieselben Fragen zum Zustand und der Wichtigkeit von Demokratie aus der EVS abgefragt hat. Grafik 2 zeigt, wie sich Einschätzungen diesbezüglich in Österreich verändert haben. Dazu wurde zusätzlich nach Parteiwahl (bei der Nationalratswahl 2017 bzw. 2019) unterschieden, um Unterstützer*innen der jeweiligen Regierungs- bzw. Oppositionsparteien zu trennen.

Während insgesamt die Meinung zur Wichtigkeit einer demokratischen Verfasstheit konstant bleibt, wird der Zustand der Regierungsentscheidungen aktuell als vergleichsweise weniger demokratisch eingeschätzt (im Mittel von 7,4 auf 6,1 auf der 10-Punkt-Skala; siehe Grafik 2). Auffallend ist, dass ÖVP-Wähler*innen (also Wähler*innen der Regierungspartei, die seit mehr als 30 Jahren in Regierungsverantwortung ist) weniger Veränderung wahrnehmen, gefolgt von den Grün- (seit 2020 in der Regierung) und NEOS-Wähler*innen. Besonders unzufrieden über den demokratischen Zustand des Regierens scheinen aktuell FPÖ-Wähler*innen zu sein (jene Partei, die nach 2019 nicht mehr in der Regierung vertreten ist), die den deutlichsten Rückgang aufweisen. Auch SPÖ-Wähler*innen sind bedeutend weniger davon überzeugt, dass Österreich derzeit demokratisch regiert wird. Interessant ist auch der Abfall in der 2018 noch verhältnismäßig positiven Bewertung in der Gruppe der Nichtwähler*innen, die eine ähnliche Entfremdung von der demokratischen Teilhabe aufweisen. Zuletzt sei erwähnt, dass die Einschätzungen über die Wähler*innengruppen hinweg 2021 eine größere Heterogenität offenbaren als dies 2018 noch der Fall gewesen ist, wo noch eher homogene Einschätzungen der demokratischen Verfasstheit vorgeherrscht haben.

Grafik: B. Veit

Fazit

Die hohe Zufriedenheit mit dem Zustand der österreichischen Demokratie, die noch zu Beginn des Jahres 2018 beobachtet werden konnte1, ist 2021, d.h. mit fortgeschrittener COVID-19-Pandemie, stark gesunken. Eine gewisse Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung kann Anfang 2021 festgemacht werden, wobei v.a. die Wähler*innen der Oppositionsparteien SPÖ und FPÖ sowie die Gruppe der Nichtwähler*innen hervorstechen. Gleichzeitig kann jedoch auch beobachtet werden, dass es für die Österreicher*innen nach wie vor immens wichtig ist, in einem demokratischen System zu leben. Es bedarf also einer Annäherung des derzeitigen demokratischen Ist-Standes an den von der Bevölkerung geäußerten demokratischen Soll-Standard. Es gilt nun weiter zu beobachten, inwiefern sich die Einstellungen der Bevölkerung zur demokratischen Verfasstheit in Österreich im Laufe der Pandemie verändern und v.a. welchen Status quo wir am Ende der Pandemie vorfinden werden. Die Auswirkungen der Pandemie auf die österreichische Demokratie gilt es somit im Auge zu behalten, um aus einer gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krise nicht auch in eine demokratische Krise zu schlittern.

Julian Aichholzer, Sylvia Kritzinger

 

Julian Aichholzer ist Universitätsassistent (Post-Doc) am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und mit dem Austrian Corona Panel Project, der Austrian National Election Study sowie dem Forschungsverbund Interdisziplinäre Werteforschung assoziiert.

Kontakt: julian.aichholzer@univie.ac.at 

Sylvia Kritzinger ist Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien, eine der Projektleiter*innen der Austrian National Election Study (AUTNES) und stellvertretende Leiterin des Vienna Center for Electoral Research (VieCER).

Kontakt: sylvia.kritzinger@univie.ac.at 

 

Anmerkungen:

1 Vgl. Aichholzer, J., Friesl, C., Hajdinjak, S., & Kritzinger, S. (2019). Quo vadis, Österreich? Wertewandel zwischen 1990 und 2018. Wien: Czernin.