Werte - Zoom, Nummer 17
Wie wichtig ist uns die Arbeit (noch)? - Covid-19-Sonderedition I
28.09.2022
Die Arbeit hat während der Covid-19-Pandemie zugunsten der Freizeit stark an Wertigkeit verloren. Sie wird als weniger wichtig und weniger sinnstiftend wahrgenommen. Diese Entwicklung war bereits während der vergangenen 30 Jahre zu beobachten. Während der vergangenen drei Jahre hat dieser Trend jedoch rasant an Geschwindigkeit gewonnen und ist verstärkt bei jenem Teil der Bevölkerung zu beobachten, der sich einen Verzicht auf materielle Sicherheit eher "leisten kann". Im Folgenden werden die Daten der Covid-19-Sonderedition der Europäischen Wertestudie, die in Österreich während der vierten Corona-Welle im Dezember 2021 erhoben wurde, analysiert.1
Freizeit wichtiger als Arbeit
Während der Covid-19-Pandemie verloren viele Menschen ihre Arbeit und in den stärksten Monaten waren bis zu einer Million Menschen in Österreich in Kurzarbeit. Eine feste und sichere Anstellung ist damit zu einem knapperen Gut geworden und viele wurden wieder an die Bedeutung materieller Absicherung erinnert. Dennoch hat die Arbeit dadurch für die Menschen keineswegs an Bedeutung gewonnen. Es ist eher das Gegenteil zu beobachten. Gaben vor der Pandemie im Jahr 2018 noch 87% der Respondent*innen an, dass die Arbeit in ihrem Leben "wichtig" oder "sehr wichtig" sei, so sank dieser Prozentsatz im Dezember 2021, während der vierten Covid-Welle, auf 79%.
Dieser Negativtrend ist nicht neu: Die Wichtigkeit von Arbeit hat während der vergangenen 30 Jahre bereits kontinuierlich abgenommen. Neu ist die Intensität des Wertigkeitsverlustes: Während der ersten beiden Jahre der Pandemie sank die Wertigkeit der Arbeit in etwa so stark wie in den 30 Jahren davor. Der Wertigkeitsverlust von 5 Prozentpunkten zwischen 1990 und 2018 entspricht in etwa dem Wertigkeitsverlust von 8 Prozentpunkten zwischen 2018 und 2021.
Gleichzeitig hatten viele Menschen aber auch aufgrund des (teilweisen) Verlusts des Arbeitsplatzes oder homeofficebedingt mehr Zeit für andere Dinge im Leben übrig. Dies hatte offensichtlich Konsequenzen für die Wertigkeit der Freizeit. In jenem Maße, in dem Menschen während der Pandemie vermehrt Abstand zu ihrer Arbeit gefunden haben, ist ihnen ihre Freizeit wichtiger geworden. Das Resultat davon: Während der Pandemie lag die Wichtigkeit der Freizeit lediglich 3 Prozentpunkt über jener der Arbeit, während der Pandemie hat sich dieser Unterschied jedoch auf 15 Prozentpunkte erhöht.
Wer sich das leisten kann...
Der Bedeutungsverlust der Arbeit trifft vor allem jene mit höherem Einkommen. Im Jahr 2018 schätzen wohlhabendere Menschen die Arbeit als wichtiger ein als weniger wohlhabende. Bei jenen, die mehr als 3.440 Euro Nettohaushaltseinkommen zur Verfügung hatten, empfanden 92% die Arbeit als "wichtig" oder "sehr wichtig", bei jenen, die mit (weniger als) der Hälfte auskommen mussten, empfanden lediglich 77% die Arbeit als "wichtig" oder "sehr wichtig".
Während der Pandemie haben sich hier die unterschiedlichen Einkommensgruppen annähernd angeglichen und die Einschätzung der Wertigkeit von Arbeit ist zwischen den Gruppen nun kaum mehr unterschiedlich. Im Dezember 2021 schätzten 77% jener mit bis zu 1.600 Euro Nettohaushaltseinkommen und 80% jener mit mehr als 3.440 Euro Nettohaushaltseinkommen die Arbeit als "wichtig" oder "sehr wichtig" ein.
Aber bitte mit weniger Verantwortung
Die Pandemie hat den Arbeitnehmer*innen viel Flexibilität und Eigenverantwortung abverlangt. Nicht zuletzt durch das Arbeiten im Homeoffice sind viele Menschen ihre eigenen Chefs geworden und mussten vermehrt Verantwortung übernehmen und die eigene Initiative ergreifen.2 Der erhöhte Druck, der mit dieser Entwicklung einhergeht, scheint teilweise zu einer Überforderung mit der eigenen Selbständigkeit am Arbeitsplatz geführt zu haben.
Danach befragt, was an einem Beruf ganz besonders wichtig ist, gaben 2018 55% an, dass es ihnen besonders wichtig sei, die eigene Initiative entfalten zu können; für 50% war es wichtig, Verantwortung im Beruf übernehmen zu können. Nach fast zwei Jahren Pandemie waren es dann nur mehr 42%, denen es besonders wichtig ist, ihre eigene Initiative entfalten zu können, und nur mehr 34% sahen es als wichtig an, Verantwortung im Berufsleben zu übernehmen. Geringfügig wichtiger ist den Menschen hingegen eine gute Bezahlung im Beruf geworden. Vor der Pandemie waren es noch 69%, denen der Gehaltsscheck am Monatsende besonders wichtig war, während der Pandemie hat sich dieser Prozentsatz auf 74% erhöht.
Die Covid-19-Pandemie hat einen Trend in der Berufswelt deutlich intensiviert, der bereits während der vergangenen 30 Jahre leise an unsere Türen geklopft hat: Die Freizeit hat der Arbeit den Rang abgelaufen. Das gilt vor allem für die affluenten Teile unserer Gesellschaft. Ebenso ist die Arbeit weniger der Ort für sinnstiftende Selbstverwirklichung geworden. Wie nachhaltig diese Entwicklung sein wird, ob die Arbeit in der Wertigkeit wieder steigt, sobald die Pandemie in den Hintergrund getreten sein wird, wird sich in Zukunft zeigen.
Johanna Willmann
Johanna Willmann, PhD ist Universitätsassistentin (post-doc) am Institut für Staatswissenschaft sowie am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien und arbeitet im Forschungsverbund Interdisziplinäre Werteforschung mit.
Kontakt: johanna.willmann@univie.ac.at
Anmerkungen:
1 Kritzinger, Sylvia; Willmann, Johanna; Rohs, Patrick; Pollak, Markus; Friesl, Christian; Polak, Regina (2022). The European Values Study - Austrian Special COVID-19-edition 2021 Including Youth Oversample, Wave 1. (Prepublication Release Version 0.0). Wien.
2 Kellner, Barbara; Korunka, Christian; Kubicek, Bettina; Wolfsberger, Juliana (2020), Wie COVID-19 das Arbeiten in Österreich verändert. Flexible Working Studie 2020, Deloitte Services Wirtschaftsprüfungs GmbH. Wien. https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/at/Documents/presse/Deloitte-Flexible-Working-Studie-2020.pdf