Werte - Zoom, Nummer 20

Politische Partizipation und Demokratiezufriedenheit - Covid-19-Sonderedition IV

05.01.2023

Die Daten der Covid-19-Sonderedition der Europäischen Wertestudie1, die in Österreich während der vierten Corona-Welle im Dezember 2021 erhoben wurden, zeigen, dass die Zufriedenheit mit dem demokratischen politischen System während der Corona-Pandemie deutlich zurückgegangen ist, ebenso wie das Vertrauen in viele gesellschaftspolitische Institutionen. Die Bereitschaft zur politischen Teilhabe ist gleichzeitig jedoch gestiegen. Die Pandemie und die Kontroversen, die um die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung geführt wurden, scheinen also einerseits die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik, andererseits aber durchaus auch ihr politisches Interesse geweckt zu haben.

 

Zufriedenheit mit der Politik

Die Covid-19-Pandemie hat unleugbar die Politik während der vergangenen knapp drei Jahre beeinflusst und der Politik viele Entscheidungen abverlangt, die oft von Interessensausgleich und Kompromissen geprägt waren. Die demokratischen Strukturen, die zu diesen Kompromissen führten, haben in dieser Zeit gleichzeitig jedoch eine Vertrauenskrise erlebt. Zwar ist es den Menschen nach wie vor unverändert wichtig, in einer Demokratie zu leben, jedoch ist die Zufriedenheit mit dem politischen System in Österreich stark zurückgegangen. Sowohl 2018, also zwei Jahre vor der Pandemie, als auch im Dezember 2021, fast zwei Jahre nach Beginn der Pandemie, war es für 95% der Befragten wichtig, in einer Demokratie zu leben. Die Zufriedenheit mit der Demokratie in Österreich ist jedoch drastisch gesunken. Vor der Pandemie im Jahr 2018 waren noch 84% der Menschen der Ansicht, dass Österreich eine Demokratie sei. Im Jahr 2021 waren es hingegen nur mehr 65%. Ebenso waren vor der Pandemie noch 67% damit zufrieden, wie das politische System in Österreich funktioniert, 2021 dann jedoch nur mehr 40% - dies entspricht weniger als der Hälfte der Befragten.

Grafik: B. Veit

Institutionenvertrauen

Das Vertrauen in diverse gesellschaftspolitische Institutionen, wie etwa die Regierung, Parteien, die UNO oder die EU, fluktuiert mit der Zeit - zu manchen Zeitpunkten wird einer Institution mehr, zu anderen weniger vertraut. Manche Institutionen haben sich während der Pandemie jedoch zu echten Höhenflügen aufgeschwungen bzw. mussten echte Abstürze einstecken. Nachdem in der EVS 2018 das Vertrauen in sämtliche Institutionen (verglichen mit den vorherigen Wellen) überdurchschnittlich hoch war, eignet sich diese Umfrage nur bedingt als Vergleichszeitpunkt. Wir betrachten daher die Entwicklung des Institutionenvertrauens über einen längeren Zeitraum mit Startdatum 2008.

Seit 2008 konnten einige Institutionen ihren Vertrauensindex verbessern, allen voran das Bundesheer oder die Gewerkschaften. Antworteten im Jahr 2008 noch 43%, also weniger als die Hälfte, dass sie dem Bundesheer "sehr viel" oder "ziemlich viel" Vertrauen entgegenbringen, so waren dies 2021 weit mehr als die Hälfte der Befragten, nämlich 66%. Bei den Gewerkschaften waren es 2008 noch 29%, die dieser Institution sehr oder ziemlich viel Vertrauen entgegenbrachten; 2021 waren es bereits 50%. Das Bildungssystem und die Kirche erlebten auf der anderen Seite einen unsanften Absturz. Im Jahr 2008 schenkten noch 65% der Befragten dem Bildungssystem und 37% der Kirche ihr Vertrauen; im Jahr 2021 fanden sich nur mehr 52% bzw. 28% der Befragten, die diesen beiden Institutionen sehr oder ziemlich vertrauten.

Grafik: B. Veit

Politische Partizipation

Trotz der gesteigerten Unzufriedenheit mit der Politik sind die Menschen selbiger jedoch nicht überdrüssig geworden. Das Interesse an politischer Partizipation, insbesondere an Unterschriftensammlungen und Demonstrationen, hat sich während der Pandemie sogar gesteigert. Vor der Pandemie gaben 82% der Befragten an, dass sie in der Vergangenheit bereits einmal an einer Unterschriftensammlung teilgenommen hatten oder sich vorstellen könnten, so etwas in Zukunft vielleicht einmal zu tun. Nach zwei Jahren Pandemie waren es dann bereits 91%. Ähnlich verhält es sich mit der Teilnahme an genehmigten Demonstrationen. Hier gaben vor der Pandemie 51% an, dass sie daran in der Vergangenheit bereits einmal teilgenommen hatten oder sich vorstellen könnten, in Zukunft vielleicht einmal daran teilzunehmen. Nach zwei Jahren Pandemie waren es dann bereits 58%. Nur bei Boykotten, die während der vielen Lockdowns womöglich schwerer durchzuführen waren, sank die Bereitschaft zur Teilnahme von 49% auf 43%.

Grafik: B. Veit

Die gesteigerte Popularität von Demonstrationen mag nicht zuletzt an einer neuen Kategorie von Demonstrationen liegen, die vor allem bei jenen Menschen, die sich als ideologisch dem rechten Spektrum zugehörig fühlen, während der Pandemie zu Beliebtheit führte, nämlich Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen und gegen die Impfpflicht. Bei jenen Menschen, die sich im ideologischen Spektrum rechts einordnen,2 gaben fast 50% an, bereits auf einer Corona-Demo gewesen zu sein oder bereit zu sein, an solch einer in Zukunft teilzunehmen. Bei jenen Befragten, die sich auf derselben Skala zwischen 1 und 4, also links einordneten, geben fast 50% an, an einer Demonstration für den Umwelt- oder Klimaschutz oder für die Rechte von Ausländer*innen teilgenommen zu haben oder bereit zu sein, an solch einer in Zukunft teilzunehmen.

Grafik: B. Veit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Pandemie dem politischen Interesse und der politischen Partizipationsbereitschaft keinen Abbruch getan hat, wohl aber der Zufriedenheit mit dem demokratischen System und vielen gesellschaftspolitischen Institutionen. Wie nachhaltig diese Veränderungen sein werden, vor allem wenn die politischen Differenzen über die Corona-Maßnahmen weniger Raum im öffentlichen Diskurs einnehmen, wird die Zukunft zeigen.

Johanna Willmann

 

Johanna Willmann, PhD ist Universitätsassistentin (post-doc) am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und arbeitet in einem Team, das mit dem Aufbau der Forschungsinfrastruktur MEDem (Monitoring Electoral Democracy) beauftragt ist.

Kontakt: johanna.willmann@univie.ac.at

 

Anmerkungen:

1 Kritzinger, Sylvia; Willmann, Johanna; Rohs, Patrick; Pollak, Markus; Friesl, Christian; Polak, Regina (2022), The European Values Study - Austrian Special COVID-19-edition 2021 Including Youth Oversample, Wave 1. (Prepublication Release Version 0.0). Vienna.

Die Einordnung im ideologischen Spektrum wurde mit folgender Frage erhoben: "In der Politik spricht man von links und rechts. Wo auf dieser Skala würden Sie sich selbst einordnen, wobei 1 'links' und 10 'rechts' bedeutet." Jene, die sich zwischen 1 und 4 einordnen, werden hier als "links" definiert, während jene, die sich zwischen 7 und 10 einordnen, hier als "rechts" definiert werden.