Werte - Zoom, Nummer 18

Wie gut hat Gott die Pandemie überlebt? - Covid-19-Sonderedition II

27.10.2022

Religion, Gott und die Kirche verloren während der vergangenen Jahrzehnte zunehmend an Bedeutung für die österreichische Bevölkerung1. Wie die Daten der Covid-19-Sonderedition der Europäischen Wertestudie (EVS 2021)2, die in Österreich während der vierten Corona-Welle im Dezember 2021 erhoben wurden, zeigen, haben die Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen im Pfarrleben und beim Gottesdienstbesuch diese Säkularisierungstendenzen noch weiter verschärft.

 

Der Bedeutungsverlust von Religion, Gott und der Kirche

Während der vergangenen 30 Jahre wurden die Befragten der regelmäßig stattfindenden Europäischen Wertestudie (EVS) gebeten zu beurteilen, (a) wie wichtig Religion in ihrem Leben ist, (b) wie wichtig Gott in ihrem Leben ist, (c) ob sie religiös sind, (d) wie oft sie beten, (e) wie oft sie an Gottesdiensten teilnehmen und (f) wie viel Vertrauen sie in die Kirche haben. Die Trendlinien zu allen sechs Beurteilungen zeigen seit den 1990er-Jahren kontinuierlich nach unten: Gott und die Religion sind unwichtiger geworden, die Menschen sind weniger religiös, beten seltener, besuchen seltener einen Gottesdienst und haben weniger Vertrauen in die Kirche. Die Daten der Covid-19-Sonderedition von 2021 zeigen jedoch, dass der Abfall zwischen 2018 und 2021 noch beschleunigt wurde - in etwa so stark wie der kumulative Abfall der drei Jahrzehnte zuvor.

Grafik: B. Veit

1990 stimmten noch 80% der Befragten zu, ein religiöser Mensch zu sein; 2018, also 30 Jahre später, stimmten dem mit 66% bereits um 14 Prozentpunkte weniger Befragte zu; im Dezember 2021, nach fast zwei Jahren Pandemie, bezeichneten sich mit 53% wieder um 13 Prozentpunkte weniger Befragte als religiös. Ähnlich verhält es sich mit der Frage, wie sehr die Respondent*innen der Kirche vertrauen: Hier meinten 1990 noch 49% der Befragten, "sehr viel" oder "ziemlich viel" Vertrauen in die Kirche zu haben; 2018 waren dies dann nur mehr 39% (um 10 Prozentpunkte weniger) und im Dezember 2021 sank die Zahl derer, die der Kirche ihr Vertrauen aussprechen, auf 28% (ein Minus von 11 Prozentpunkten).

 

Wird dieser Trend von den Jungen vorangetrieben?

Zumeist wird davon ausgegangen, dass sich die Säkularisierung der vergangenen Jahrzehnte - im Sinn des Bedeutungsverlustes von Religion auf der individuellen Ebene des Alltags - am deutlichsten bei jungen Menschen zeigt und dass jene maßgeblich für den jeweils stattfindenden Wertewandel verantwortlich zeichnen.3 Sind sie jedoch auch tatsächlich die Träger der jüngsten Entwicklungen während der Pandemie? Ein Blick in die Daten verrät, dass diese Conclusio unzutreffend ist.

Grafik: B. Veit

Religion verlor zwischen 2018 und 2021 nur bei 3% der Befragten zwischen 14 und 25 Jahren (Generation Z) an Wichtigkeit, jedoch bei 13% der Befragten über 25 Jahre. Ähnlich verhält es sich mit dem Vertrauen in die Kirche. Bei den 14- bis 25-Jährigen macht der Vertrauensrückgang 4% aus, bei den über 25-Jährigen jedoch 12%.

Noch drastischer fällt die Veränderung über die Zeit bei der Frage nach der Wichtigkeit von Gott aus. Danach befragt, wie wichtig Gott im Leben der Respondent*innen ist, antwortete bei den unter 25-Jährigen im Jahr 2018 circa die Hälfte, dass Gott wichtig oder sehr wichtig für sie sei, während es bei den über 25-Jährigen 56% waren. Während der Pandemie hat sich dieser Prozentsatz bei der Generation Z auf 60% erhöht, wohingegen er sich bei den über 25-Jährigen auf 50% reduziert hat. Gott hat für die Jüngeren somit an Bedeutung gewonnen, während er für jene jenseits der 25 an Bedeutung verloren hat.

Dieser Trend ist vor allem auf nicht-katholische Jugendliche zurückzuführen. Bei Jugendlichen, die sich als römisch-katholisch bezeichnen, ist die Wichtigkeit Gottes um 3% zurückgegangen, bei evangelischen/protestantischen Jugendlichen sowie bei orthodoxen und muslimischen Jugendlichen hat die Bedeutung Gottes hingegen um 13 bis 66 Prozentpunkte zugenommen.4

Grafik: B. Veit

Grafik: B. Veit

Grafik: B. Veit

Die pandemische Säkularisierung wird nur bedingt von den Jüngeren vorangetrieben. Es wird daher spannend sein zu beobachten, wie nachhaltig sich diese Entwicklung entfalten wird.

Johanna Willmann

 

Johanna Willmann, PhD ist Universitätsassistentin (post-doc) am Institut für Staatswissenschaft sowie am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien und arbeitet im Forschungsverbund Interdisziplinäre Werteforschung mit.

Kontakt: johanna.willmann@univie.ac.at

 

Anmerkungen:

1 Vgl. Werte-Zoom, Nummer 4: Religion im - religionspolitisch bedingten - Umbruch?

2 Kritzinger, Sylvia; Willmann, Johanna; Rohs, Patrick; Pollak, Markus; Friesl, Christian; Polak, Regina (2022). The European Values Study - Austrian Special COVID-19-edition 2021 Including Youth Oversample, Wave 1. (Prepublication Release Version 0.0). Vienna.

3 Inglehart, Ronald (1977). The Silent Revolution. Changing Values and Political Styles among Western Publics, Princeton: Princeton University Press.

4 Diese Berechnungen stützen sich auf ein Subsample von 168 Jugendlichen im Jahr 2018 und 758 Jugendlichen im Jahr 2021. Anzahl Jugendlicher mit Zugehörigkeit zu keiner Religionsgemeinschaft 2018: 30, 2021: 194; Anzahl römisch-katholischer Jugendlicher 2018: 76, 2021: 383; Anzahl evangelischer/protestantischer Jugendlicher 2018: 3, 2021: 39; Anzahl orthodoxer Jugendlicher 2018: 11, 2021: 29; Anzahl muslimischer Jugendlicher 2018: 45, 2021: 73; Anzahl Jugendlicher anderer Religionsgemeinschaften 2018: 3, 2021: 40.