Werte - Zoom, Nummer 26

Politische Sozialisation durch Eltern

24.06.2025

Eltern sind eine wichtige Quelle der politischen Sozialisation von Kindern. Daten der EVS-Sonderedition bestätigen dies und zeigen, dass junge Erwachsene im Alter von 14 bis 25 Jahren ihre Eltern relativ nahe an ihrer eigenen Positionierung entlang der Links-Rechts-Skala sehen - und in den allermeisten Fällen jedenfalls auf derselben ideologischen Seite. Die Distanz zwischen Eltern und Kindern ist umso geringer, je besser das persönliche Verhältnis ist und je stärker Eltern ihre Kinder in diverse (auch nicht-politische) Entscheidungen einbinden. Letzteres begünstigt auch stabilere ideologische Orientierungen bei den Jungen.

 

Ideologische Unterschiede zwischen Eltern und Kindern

Politische Sozialisation kann an unterschiedlichen Orten stattfinden - unter anderem im Elternhaus, in der Schule, im Umgang mit Gleichaltrigen, im Internet, in der Arbeitswelt, in Vereinen oder in Religionsgemeinschaften. Die meiste Zeit verbringen Kinder häufig jedoch im eigenen Elternhaus, weshalb diesem eine besondere Bedeutung in der politischen Sozialisation zukommt.1

In der COVID-Sonderedition der Europäischen Wertestudie 2021/222 wurden junge Erwachsene zwischen 14 und 25 Jahren3 zu ihrer eigenen politischen Selbsteinschätzung sowie zur Einschätzung ihrer Eltern befragt.4 Sie konnten sich und ihre Eltern entlang einer Skala von 1 bis 10 einordnen, wobei 1 ideologisch "links" und 10 ideologisch "rechts" bedeutete. Daraus konnte der Abstand zwischen den jungen Befragten und ihren Eltern berechnet werden. Dabei zeigte sich, dass die Abstände im Durchschnitt eher gering sind. Kinder sehen große ideologische Gemeinsamkeiten mit ihren Eltern. Proteste gegen die politische Grundorientierung der Eltern sind eher selten.

Grafik: A. Bosina

Abbildung 1 zeigt, wie viel Prozent der befragten jungen Erwachsenen sich jeweils 0, 1, 2, 3 etc. Punkte auf der ideologischen Links-Rechts-Skala von ihrer Mutter bzw. ihrem Vater entfernt einordnen. Mehr als 40% der Befragten nehmen ihre Mutter als ideologisch völlig ident wahr (null Punkte Abstand) und ca. 50% platzieren sie ein oder zwei Punkte entfernt von sich. Bei den Vätern fallen die Abstände etwas größer aus, hier sehen sich nur ca. 37% als völlig identisch und ca. 45% ordnen ihren Vater ein oder zwei Punkte entfernt von sich ein.

Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass die vorhandenen Abstände meistens nicht zu völlig konträren ideologischen Grundorientierungen führen. So platzieren 80% die Mutter und 65% den Vater - wenn auch nicht immer auf exakt derselben Position auf der Skala - zumindest im gleichen ideologischen Spektrum (also entweder links oder rechts der Mitte) wie sich selbst (keine Abbildung).

Aus der Sozialforschung ist jedoch bekannt, dass Menschen oft ihre eigenen Werte auf andere projizieren und dadurch bestehende Unterschiedlichkeit ihrer eigenen Meinung zu anderen völlig unterschätzen (False Consensus Effect). Das könnte natürlich auch im vorliegenden Fall zutreffen, indem Kinder ihre Eltern als ideologisch näher an der eigenen politischen Präferenz wahrnehmen, als das tatsächlich der Fall ist. Vergleicht man allerdings die von den jungen Befragten angenommene durchschnittliche ideologische Position ihrer Eltern mit jener der tatsächlich befragten 35-65-Jährigen im Sample (die nicht mit den jungen Erwachsenen verwandt sind), kann man feststellen, dass die Wahrnehmung der Eltern nur geringfügig verzerrt ist.

Abbildung 2 stellt die durchschnittliche Links-Rechts-Selbstplatzierung der jungen Befragten bis 25 Jahre auf der Skala von 1 bis 10 in grün dar, sie liegt mit 4,5 etwas links von der Position der Über-25-Jährigen. In rot ist die durchschnittliche Platzierung der Eltern der jungen Befragten mit 4,9 (Mütter) und 5,5 (Väter) angegeben. Diese Werte weichen nur geringfügig von der Selbsteinschätzung der 35-65-Jährigen (die der Generation der Eltern der Jungen entspricht) ab, die mit 5,1 (Frauen) und 5,6 (Männer) etwas weiter von den Jungen entfernt liegt.

Grafik: A. Bosina

Hat das persönliche Verhältnis zwischen Eltern und Kindern Einfluss auf die ideologische Kongruenz?

Wovon könnte nun die ideologische Distanz zu den Eltern abhängen? Die Vermutung liegt nahe, dass die ideologischen Orientierungen kongruenter sind, je besser das persönliche Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern ist. Abbildung 3 zeigt, dass das vor allem für das ideologische Verhältnis zur Mutter gilt, in abgeschwächter Form jedoch auch für den Vater.

Befragte, die angeben, ein sehr gutes, gutes oder neutrales Verhältnis zu ihrer Mutter (oder Stiefmutter) zu haben, ordnen selbige nur etwa einen Punkt entfernt auf der Links-Rechts-Skala ein, wohingegen jene, die angeben ein schlechtes oder sehr schlechtes Verhältnis zu ihrer Mutter (oder Stiefmutter) zu haben, selbige zwei bis drei Punkte entfernt sehen. Beim Verhältnis zum Vater ist der Zusammenhang weniger deutlich, aber es lässt sich dennoch eine Tendenz feststellen, dass Kinder, die sich sehr gut mit ihrem Vater verstehen, selbigen mit etwas nur einem Punkt Differenz näher an ihrer eigenen ideologischen Position sehen als die anderen.

Grafik: A. Bosina

Hat die Diskussionskultur im Elternhaus Einfluss auf die ideologische Kongruenz zwischen Eltern und Kindern oder auf die ideologische Stabilität der Kinder?

Einen weniger starken, aber dennoch erkennbaren Einfluss auf die ideologische Kongruenz hat auch die Diskussionskultur im Elternhaus. Die Befragten wurden gebeten anzugeben, wie in ihrer Familie üblicherweise Entscheidungen getroffen wurden, als sie 14 Jahre alt waren: Wurde darüber gesprochen und wurden Entscheidungen von den Eltern, den Kindern oder gemeinsam getroffen?

Abbildung 4 zeigt die durchschnittliche ideologische Distanz zwischen Eltern und Kindern auf der Links-Rechts-Skala in Abhängigkeit von der Diskussionskultur zu Hause. Es zeigt sich, dass die Distanz zur Mutter in Familien, in denen Entscheidungen gemeinsam besprochen wurden, mit nur einem Punkt deutlich geringer ist als in Familien, in denen nicht darüber gesprochen wurde und die Eltern allein entschieden (1,6 Punkte Differenz) oder in denen nicht gesprochen wurde und die Kinder allein entschieden (2,2 Punkte Differenz). Ebenso ist die Distanz zu den Vätern in jenen Familien, in denen nicht über Entscheidungen gesprochen wurde, mit 2,1 Punkten größer als in Familien, in denen über Entscheidungen gesprochen wurde und gemeinsam entschieden wurde (1,3 Punkte), die Eltern allein entschieden (1,7 Punkte) oder die Kinder allein entschieden (1,5 Punkte).

Grafik: A. Bosina

Die kommunikationsbasierte Entscheidungsfindung hat auch Auswirkungen auf die ideologische Stabilität der jungen Erwachsenen (Abbildung 5). In einer zweiten Befragungswelle 2022 (also ein Jahr nach der ersten Erhebung) gaben mehr Befragte eine andere ideologische Selbstplatzierung an, wenn Entscheidungen im Elternhaus nicht besprochen wurden (82% bzw. 100% wechselten). Wenn Entscheidungen zu Hause besprochen wurden und danach gemeinsam oder von den Eltern allein getroffen wurden, änderte bloß etwa die Hälfte der Befragten ihre Selbstpositionierung (52% bzw. 45% wechselten).

Grafik: A. Bosina

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Junge Erwachsene schätzen die ideologische Position ihrer Eltern mehrheitlich ähnlich wie ihre eigene ein - vor allem dann, wenn das persönliche Verhältnis sehr gut ist oder eine partizipative Entscheidungskultur im Elternhaus herrschte.

Johanna Willmann

 

Johanna Willmann ist Universitätsassistentin (post-doc) am Institut für Staatswissenschaft und arbeitet im Netzwerk Interdisziplinäre Werteforschung mit.

Kontakt: johanna.willmann@univie.ac.at 

 

Anmerkungen:

1 Vgl. z.B. Quintelier, Ellen (2015). Engaging adolescents in politics: the longitudinal effect of political socialization agents. Youth and Society 47, 51-69. DOI: 10.1177/0044118X13507295; Jennings, M. Kent, and Niemi, Richard G. (1968). The transmission of political values from parent to child. The American Political Science Review 62, 169-184. DOI: 10.2307/1953332; Van Ditmars, Mathilde M. (2023). Political socialization, political gender gaps and the intergenerational transmission of left-right ideology. European Journal od Political Research 62, 3-24. DOI: 10.1111/1475-6765.12517; Weiss, Julia (2023). Intergenerational transmission of left-right ideology: A question of gender and parenting style? Frontiers in Political Science, 5. DOI: 10.3389/fpos.2023.1080543.

2 Kritzinger Sylvia; Willmann, Johanna; Rohs, Patrick; Pollak, Markus; Friesl, Christian; Polak, Regina (2023). The European Values Study - Austrian COVID-19 Special Edition 2021-22 Including Youth Oversample (SUF edition). DOI: 10.11587/F8V4GL

3 In der ersten Welle der Studie wurden 806 junge Erwachsene zwischen 14 und 25 Jahren befragt, 270 davon nahmen auch an der zweiten Welle teil. Befragte, die die beiden Aufmerksamkeitstests nicht bestanden, werden in den vorliegenden Analysen nicht berücksichtigt. Für die erste Welle wurden daher 666 Befragte berücksichtigt, für Vergleiche zwischen beiden Wellen 246.

4 In der Politik spricht man von links und rechts. Wo auf dieser Skala würden Sie Ihre Mutter/Ihren Vater einordnen, wobei 1 "links" und 10 "rechts" bedeutet?